Evangelisierung meint, "die Frohbotschaft in alle Bereiche der Menschheit zu tragen und sie durch deren Einfluss von innen her umzuwandeln und die Menschheit selber zu erneuern." (EN18)
Diese Aufgabe erfordert eine glaubwürdige Verkündigung, die ohne die Selbstevangelisierung der Kirche (EN 15) nicht möglich ist. Diese Evangelisierung ist "die Gnade und die eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität."(EN 14)
In diesem Auftrag weiß die Kirche um ihre Verantwortung für alle Menschen (vgl. EN 1). Sie kann und darf unter keinen Umständen akzeptieren, "dass die Sendung nur auf den Bereich des Religiösen beschränkt wird, indem sie sich für die zeitlichen Probleme der Menschen nicht interessiert."(EN 34)
Diese Verkündigung muss vor allem durch das gelebte Zeugnis von Christinnen und Christen erfolgen, die "inmitten der menschlichen Gesellschaft, in der sie leben, ihre Verständnis- und Annahmebereitschaft, ihre Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit den anderen, ihre Solidarität mit den Anstrengungen aller für alles, was edel und gut ist, zum Ausdruck bringen."(EN 21)
Die Evangelisierung ist ein vielschichtiges Geschehen mit verschiedensten Elementen (vgl. EN 22-24).
Sie nimmt die dogmatische Grundformel des Christentums, die Verhältnisbestimmung von Göttlichem und Menschlichem, wie sie das Konzil von Chalcedon für die Person Jesu entwickelt hat, das "inconfuse - indivise (unvermischt - ungetrennt)" zum Prinzip pastoraler Praxis.
Evangelisatorisches Handeln bringt Gott als befreiende Größe des Menschen ins Spiel und entdeckt zugleich den Menschen als Ort der Anwesenheit Gottes. Diese dogmatische Grundformel beantwortet zugleich die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Politik. Beide Begriffe sind gegenseitig aufeinander verwiesen und polar aufeinander bezogen: Die Politik, die verstanden wird als das Handeln in der Gesellschaft für das menschliche Zusammenleben im Sinne des Gemeinwohls, ist ein Wertbereich der Evangelisierung und eine evangelisatorische Pastoral ist ohne politisches Handeln nicht möglich.
Die Evangelisierung ist die Aufgabe der ganzen Kirche. Niemand in ihr kann und darf sich ihr entziehen. Jede(r) in der Kirche ist dazu berufen, diese gemeinsame Aufgabe zu realisieren.
Die hauptamtlichen Trägerinnen und Träger der Evangelisierung sind immer eingebunden in die Gemeinschaft aller an das Evangelium Glaubenden, wie es der Volk-Gottes-Begriff für die Kirche beschreibt. Die gemeinsame Aufgabe der Evangelisierung führt die verschiedenen Dienste und Ämter zu einer Einheit zusammen. Alle sind auf sie verpflichtet. "Die Verschiedenheit der Dienste innerhalb der Einheit der gleichen Sendung macht Reichtum und Schönheit der Evangelisierung aus."(EN 66)
Die Frohe Botschaft, der Inhalt der Evangelisierung, befreit auch die Trägerinnen und Träger der Evangelisierung selbst, indem sie die Subjektwerdung ihres Lebens und Glaubens fördert und ermöglicht.
Die befreiende Wirkung der Evangelisierung kann von den Menschen erfahren werden, weil auch die Tatsache der Begrenztheit menschlicher Fähigkeiten im Konzept der Evangelisierung selbst enthalten ist.
Die lateinamerikanische Bischofskonferenz hat dies im Begriff der „Option“ geleistet. Mit seiner Hilfe können angesichts begrenzter Reserven an Zeit und Kraft Entscheidungen getroffen werden, die helfen, zwischen beliebigem und notwendigem Handeln zu unterscheiden. "Die Option verhindert..., dass für die entscheidenden Verausgabungen vor Ort keine Ressourcen an Zeit und Energie mehr da sind, weil sie von allem Möglichen aufgebraucht wurden."(Fuchs 1987)
Ohne die Option besteht die große Gefahr, sich und die anderen hoffnungslos zu überfordern.