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Die Patientin/Der Patient im Krankenhaus

Krankheit wirft den Menschen auf sich selbst zurück. Sie gefährdet sowohl die körperliche als auch die psychische und soziale Identität. Schmerzzustände, besonders wenn sie chronisch sind, verändern das Körpergefühl anhaltend und führen zu Nervosität und Reizbarkeit. Ähnliches gilt für medikamentöse Maßnahmen. Amputationen (Gliedmaßen, Brust), Lähmungserscheinungen und Nebenwirkungen von therapeutischen Maßnahmen (Strahlen- und Chemotherapie, Psychopharmaka) führen zu äußerlich sichtbaren Änderungen im Erscheinungsbild, sodass die Patientinnen und Patienten sich neu mit sich und ihrem Körper auseinan-der setzen müssen. Auch Verbrennungen und andere Entstellungen erfordern eine neue Zustimmung zur körperlichen Identität.

Mit den körperlichen Veränderungen gehen immer auch psychische Veränderungen einher. Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein können sinken, oft wird auch die Selbstbestimmung eingeschränkt. Das ständige Angewiesensein auf die Hilfe von anderen kann zum Gefühl der Minderwertigkeit führen. Auf die Auswirkungen von Psychopharmaka auf die Psyche eines Menschen sei nur hingewiesen. Schwere Krankheitsbilder konfrontieren die Patientinnen und Patienten immer auch mit ihrer begrenzten Lebenszeit. Angst vor der Zukunft, Angst, den anderen zur Last zu fallen, Angst vor einem langen Siechtum belasten die Menschen sehr.

Kranksein hat immer auch Auswirkungen auf das soziale Umfeld. Die Beziehungen, die sonst das Leben prägen, sind einer neuen Belastung ausgesetzt. Partner, Familie, Freunde und Kollegen müssen sich erst auf die veränderte Lage durch die Krankheit einstellen und lernen, mit ihr umzugehen. Körperliche Beeinträchtigungen können auch vorläufige oder dauernde Arbeitsunfähigkeit mit sich bringen, ein schwer wiegender Einschnitt in die persönliche Lebensgestaltung. Bestimmte Krankheitsbilder: AIDS, TBC, psychiatrische Erkrankungen führen zur gesellschaftlichen Ausgrenzung und somit zur Vereinsamung der Betroffenen. In dieser Zeit vielfältiger Gefährdungen sehnen sich die Patientinnen und Patienten nach menschlichen Beziehungen, die ihre Ängste, Gefühle und Hoffnungen ernst nehmen und sie in dieser Krisensituation begleiten.

Krankwerden ist für viele Menschen eine Krisenerfahrung, vor allem im Kontext Krankenhaus. Sie werden - oft plötzlich und unerwartet - aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld herausgerissen. Sie finden sich in einer Institution wieder, die ihnen fremd und überwiegend von festen Strukturen geprägt ist. Dies fordert von ihnen ungewohnte, zum Teil völlig neue Verhaltensweisen, z.B. Anpassen an einen vorgegebenen Tagesablauf. Diese Strukturen werden von den meisten als kaum veränderbar erlebt (z.B. das frühe Wecken, die Essenszeiten, Termindruck bei vielen Untersuchungen und Therapien und/oder viel "Leerlauf", ein eingeschränkter Intimbereich, vor allem in Mehrbettzimmern usw.). Deshalb ist für viele das einschneidendste Erlebnis im Krankenhaus die extrem passive Rolle, in die sie durch diese Strukturen hineingedrängt werden. Zwar wird einerseits das Ideal der "mündigen Patientin" und des "mündigen Patienten" immer wieder beschworen, und tatsächlich ist jede medizinische Anordnung nur mit dem Einverständnis der Kranken möglich.

Andererseits erleben viele, dass ihre subjektive Befindlichkeit, ihre Ängste und Befürchtungen, ihre eigenen Beobachtungen oder Behandlungsvorschläge nicht genügend ernst genommen werden. Oft sind Therapeutinnen/Therapeuten und Pflegepersonal vorrangig daran interessiert, dass die Anordnungen mehr oder weniger widerspruchslos befolgt werden und somit der tägliche, genau durchgeplante Stationsablauf nicht gestört oder durcheinander gebracht wird.
Trotz dieser strukturellen Zwänge bemühen sich viele um menschliche Zuwendung im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Viele Menschen besitzen gerade auch wegen der zunehmenden gesellschaftlichen Ausdifferenzierung und Spezialisierung völlig überzogene Vorstellungen von den Möglichkeiten der modernen Medizin. Damit verbinden sie die Hoffnung, neue Geräte und die besten Spezialisten müssten für sie bereitstehen und könnten jede Krankheit erforschen und "heilen". Im Krankenhaus begegnen sie zwar den verschiedenen, spezialisierten Therapeutinnen und Therapeuten, müssen dann aber häufig erleben, dass diese sie nur unter einem bestimmten, sehr eingeschränkten Blickwinkel betrachten und einschätzen (können). Dadurch erfahren sie sich nicht als "ganzheitlich" wahrgenommen.

Das hat zur Folge, dass es für viele sehr schwer wird, nach der Bedeutung ihrer Krankheit für ihr Leben zu fragen. Sie sprechen dann selbst (wie viele Ärztinnen und Ärzte) nur noch medizinisch-technisch darüber.
Diesen vielfältigen Gefährdungen der Person steht eine existenzielle Deutungsnot vieler - auch gläubiger - Menschen gegenüber. Manchen Patientinnen und Patienten gelingt es, oftmals mit Hilfe ihres Glaubens, eine veränderte und tiefere Einstellung zu ihrem Leben zu gewinnen. In Mehrbettzimmern ist häufig eine beeindruckende Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander festzustellen.

Ein letztes wichtiges Thema ist das Sterben. Die meisten Menschen haben den Wunsch, zu Hause in ihrer vertrauten Umgebung, nicht allein, und in Würde sterben zu können. Zwei Drittel jedoch sterben im Krankenhaus. Dort erleben sich viele alleingelassen von Pflegepersonal, Ärztinnen/Ärzten, aber auch oft von ihren eigenen Angehörigen. Es fehlen häufig geeignete Räume, um die Intimität des Sterbens zu wahren. Auch die vielfältigen Möglichkeiten lebensverlängernder Maßnahmen machen vielen Patientinnen/Patienten und Angehörigen Angst.

Die Hospizbewegung versucht, diese Tatsachen verstärkt ins gesellschaftliche Bewusstsein zu heben. Sie will so die weit verbreitete Tabuisierung von Leid und Tod aufheben und menschenwürdiges Sterben ermöglichen.