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3.3.2 Zur Spiritualität der Krankenhaus-Seelsorger

Hilfreiche Stützen und behindernde Erfahrungen

Die Glaubwürdigkeit des Krankenhausseelsorgers steht und fällt mit der persönlichen Integrität und der Vertrauenswürdigkeit seiner Persönlichkeit. Wer „von Berufs wegen“ so konzentriert dem Leid und der Sinnfrage ausgesetzt ist, braucht deshalb selbst ein stabiles menschliches und geistliches Fundament. Seelsorger als Begleiter von Kranken und Leidenden, von Wiedergenesenden und Sterbenden bedürfen selbst des Trostes und der Hoffnung. Sicher wird das eigene Leben aus dem Glauben dafür Quelle sein. Nicht selten ist der Dank von seiten der Patienten und ihrer Angehörigen sowie die Anerkennung und die ausdrückliche Bejahung ihres Dienstes durch die anderen im Krankenhaus Tätigen eine große Hilfe. Pflegepersonal und Ärzte schätzen vielerorts die Arbeit der Seelsorger sehr und arbeiten mit ihnen zusammen oder suchen für sich selbst geistliche Beratung und Begleitung.

Es gibt auch andere Erfahrungen: Krankenhausseelsorger erleben sich zuweilen nur als „Geduldete“; dies in besonderer Weise, wenn der Träger und das Personal – manchmal auch die Patienten – der Kirche gegenüber negativ eingestellt sind. Im Alltag des Krankenhauses erfahren Seelsorger auch Grenzen in organisatorischer Hinsicht. Die offene Zeitstruktur ihrer Arbeit, der ständige Druck, sich über ihre Tätigkeit und ihr Selbstverständnis legitimieren zu müssen, unklare Arbeitsbeschreibungen, unterschiedliche Vorstellungen von Seelsorge im Krankenhaus, unterschiedliche Erwartungen bzw. Kompetenzen, aber auch einseitige Rollenzuweisungen erschweren nicht selten die Arbeit. Oft gibt es keine eigenen Sprech- und Arbeitszimmer. Seelsorger, die neu ihren Dienst antreten, werden zuweilen nicht öffentlich in ihr Amt eingeführt.

Funktional gesehen hat im Krankenhausbetrieb die Seelsorge eine Sonderrolle. Im Gesundheitssystem, bei dem Leistungen und Erfolge Priorität haben und Tätigkeiten nach Minuten bemessen werden, scheint die Seelsorge zunächst keinen Platz zu haben. Die notwendige, zweckorientierte Organisation des Krankenhauses ist immer in Gefahr, die Objektivierung aller Handlungsabläufe zu Lasten der individuellen Bedürfnisse der Patienten im Krankenhaus zu betonen. Zweckrationalität und nicht Sinngebung ist da gefragt, Kosten-Nutzen-Relation statt „nicht bezahlbarer“ Begegnung, emotionale Neutralität statt personaler Zuwendung. Ökonomische Zwänge verstärken solche Tendenzen. Bei den hochkomplizierten Funktionsabläufen in Diagnose und Therapie kann der einzelne Patient mit seinen persönlichen Problemen und Bedürfnissen schnell zum „Störfall“ werden.

Der Seelsorger als Anwalt des Patienten

Während die Medizin vorrangig um objektive Fakten und Daten bemüht sein muß, will die Seelsorge bewußt die Subjektivität des Patienten stützen. Dem Seelsorger im Krankenhaus kommt eine wichtige, kritisch-korrektive Aufgabe zu: Er macht sich zum Anwalt des Patienten. Seelsorger erleben durchaus, daß sie dort willkommen und gefragt sind, wo die anderen Dienste ausweichen und sich der Konfrontation, vor allem mit Schwerstkranken und Sterbenden, entziehen wollen. Dem intensiven, persönlichen Engagement der Krankenhausseelsorger stehen u. U. die strukturellen und organisatorischen Bedingungen des Krankenhauses entgegen.

Im gleichen Maße, in dem heute die Grenzen moderner technischer Medizin und das Erfordernis einer ganzheitlichen Zuwendung zum Kranken deutlich werden, wächst vielfach aber auch die Einsicht in die Erforderlichkeit der Krankenseelsorge und die Akzeptanz der Seelsorger.

Die Krankenhausseelsorge muß sich mit den genannten Problemen intensiv auseinandersetzen. Zugleich stellt sie eine dauernde Anfrage an unsere leistungsorientierte Gesellschaft dar: Welchen Wert und welche Würde hat der Mensch, gerade auch der kranke und leidende?

Im Bewußtsein solcher Wirklichkeit gilt es, in der Krankenhausseelsorge fremde und eigene Hilflosigkeit auszuhalten und mit anderen verarbeiten zu helfen. Statt Anpassung oder Flucht vor Kooperation und dem Ausweichen vor einer zuweilen notwendigen Konfrontation mit anderen Funktionsbereichen soll Krankenhausseelsorge bewußt ihre Möglichkeiten nutzen. Wenn Krankenhausseelsorge dem oft unbeantworteten Bedürfnis nach Begegnung, Anteilnahme, Sinnfindung und Deutung von Krankheit, der Erhellung der Lebensgeschichte, der Endlichkeit und der Sterbensängste zu entsprechen sucht, darf sie daraus freilich keine „Machtposition“ aufbauen. Seelsorge trägt dazu bei, daß aus dem Objekt der Behandlung wieder ein Subjekt in der Krankheit wird.

Menschlich-geistliche Fundamente

Die genannten positiven Erfahrungen ermutigen und motivieren, auch die Belastungen dieses Berufs aus- und durchzuhalten. Unverzichtbar für die Seelsorger im Krankenhaus – wie für alle Seelsorger – ist die Sorge für die eigene Gesundheit, für die leibliche und geistige Erholung.

Krankenhausseelsorger bedürfen einer menschlichen und spirituellen Stabilität. Diese kann ihnen aus ihrer Tätigkeit zuwachsen. Die Begegnungen mit den Menschen und den unterschiedlichen Situationen im Krankenhaus werden zu „Lernorten des Glaubens“. In der Begleitung von Patienten werden die Seelsorger mit Schicksalen und biographischen Höhe- und Tiefpunkten konfrontiert – wie gut, wenn sie da aus dem Glauben Zusammenhänge sehen und konkretes Leben deuten können.

In der Gestalt Jesu finden Seelsorger Vorbild und Maß für ihr eigenes Verhalten, um Menschen ohne Vorurteile anzunehmen und sich ihnen „heilsam“ zuzuwenden. Im Aushalten, Dabeibleiben und Immer-wieder-Kommen, gerade in ausweglosen Situationen oder trotz antwortloser und unbeantwortbarer Fragen, bezeugen sie zeichenhaft die Nähe des menschenfreundlichen Gottes.