Gesundheit gilt den Menschen als ein hoher Wert. Krank zu sein wird dagegen als Unglück empfunden. Körperliche Leiden, Schmerzen sowie lebensbedrohliche Diagnosen stürzen einen Menschen nicht selten in eine Krise. Er durchlebt Angst und Verzweiflung, Resignation und Trauer. Angesichts des bedrohten Lebens wird die eigene Zukunft in gesundheitlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht ungewiß; dazu kommen die Sorgen um die von seiner Krankheit, seinen Leiden oder gar einem möglichen Sterben mitbetroffenen Angehörigen. Die Krankheit wird so zur Krise des ganzen Menschen: körperlich, geistig und seelisch, existentiell und sozial.
Menschen mit einer schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung leiden darum nicht nur unter körperlichen Schmerzen; psychische Ängste kommen hinzu. Nicht selten fühlt sich ein Kranker unfähig, die ihn bedrängenden Gefühle zuzulassen. Er verdrängt seine Ängste und seine Trauer, um nicht den Eindruck der Hilflosigkeit zu erwecken oder um seine Mitmenschen zu „schonen“. Viele Kranke befürchten, mit ihrem Kranksein auf Unverständnis oder Ablehnung zu stoßen. Sie fühlen sich mit ihren Ängsten und Bedrängnissen oft genug allein.
Solche Wahrnehmungen verschärfen die Krise. Der Kranke muß Schmerzen, Angst und Trauer aushalten und will gleichzeitig darauf achten, andere möglichst wenig damit zu belasten. Psychisch Kranke erleben darüber hinaus noch in besonderer Weise Unverständnis und Ablehnung. Sie erfahren sich als gemieden und ausgegrenzt. Besonders kritisch ist die Lage der Schwerkranken und chronisch Kranken sowie der sterbenden Kinder und ihrer Angehörigen.
In vielfacher Weise erfährt also der Kranke seine Gebrochenheit und Hinfälligkeit, seine Heilungs- und Heilsbedürftigkeit. Die Krankheit konfrontiert im Grunde mit der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit. Sie stellt innerweltliche Sicherheiten in Frage, entlarvt Illusionen und Selbsttäuschungen. Sie führt den Menschen vor grundlegende Fragen seiner Existenz: „Warum bin ich krank?“, „Werde ich wieder gesund?“, „Welchen Sinn haben meine Leiden und Schmerzen?“, „Ist mit dem Tod alles zu Ende?“
In Zeiten der Krankheit stellen sich religiöse Fragen in neuer Weise. Der Mensch in der bedrohlichen Krankheit ist selbst eine religiöse Frage, auch wenn sich darin herkömmliches religiöses Sprechen nicht unmittelbar erkennen läßt. Fragen wie: „War‘s das mit meinem Leben?“ „Was soll nur werden?“ „Was bin ich alles schuldig geblieben?“ und ähnliche gehen auf das Ganze der Existenz. Solche existentiellen Fragen sind religiöse Fragen – lange bevor sie in einer Glaubenssprache formuliert werden.
Es bedarf vielfältiger Antworten, um die Herausforderung des Krankseins und des möglichen Sterbens zusammen mit den Kranken zu bewältigen. Dazu gehören Hilfe und Begleitung, die medizinische und pflegerische Betreuung sowie die menschliche und geistliche Zuwendung. Durch diese verschiedenen Hilfen werden Heilung und Wiedergenesung, Linderung oder auch Annahme von unheilbarer Krankheit gefördert. Die Situation der Krankheit kann so zur Chance für Sinnfindung und Neuorientierung werden.